Warum Menschen sich für eine Schlauchmagen-OP entscheiden – und was wirklich dahinter steckt

Ein ehrlicher Blick auf Ursachen, Folgen und ganzheitliche Wege zur Heilung

Die Entscheidung für eine Schlauchmagen-Operation – medizinisch bekannt als „Gastric Sleeve“ – ist in der Regel kein spontaner Impuls, sondern der Endpunkt eines langen inneren Konflikts. Viele Menschen, die diesen Eingriff in Betracht ziehen, haben unzählige Diäten hinter sich, Programme, Selbstdisziplin, Rückfälle, Selbsthass – und irgendwann das Gefühl, dass der eigene Körper nicht mehr „aus eigener Kraft“ regulierbar ist. Der Wunsch nach der OP entspringt dabei oft weniger einer bloßen Sehnsucht nach einem schlankeren Körper, sondern vielmehr einem tiefen Bedürfnis nach Kontrolle, Erlösung und Neuanfang.

Medizinisch gesehen kann die Schlauchmagen-Operation in bestimmten Fällen tatsächlich lebensverändernd wirken. Durch die Entfernung von bis zu 85 % des Magens wird nicht nur das Magenvolumen drastisch reduziert – auch die Produktion des Hormons Ghrelin, das für das Hungergefühl mitverantwortlich ist, sinkt deutlich. In einer Metaanalyse von Chang et al. (2014, JAMA) zeigte sich, dass Patient:innen nach einer Sleeve-Gastrektomie durchschnittlich über 60 % ihres Übergewichts innerhalb von zwei Jahren verloren. Zudem wurden signifikante Verbesserungen bei Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Fettleber und Schlafapnoe festgestellt. Diese Ergebnisse machen verständlich, warum viele Ärzt:innen die OP als effektives Werkzeug betrachten – vor allem dann, wenn andere Methoden langfristig versagt haben.

Doch Gewicht allein ist selten das eigentliche Problem. Viele Menschen, die sich für diesen Eingriff entscheiden, tragen seelische Wunden mit sich, die sich in ihrem Körper niedergeschlagen haben. Das Gewicht ist Ausdruck – nicht Ursache. Es spiegelt Schutz, Abwehr, Schmerz, manchmal auch unbewusste Loyalität, Bestrafung oder Identitätsverwirrung. Wer nur den Körper behandelt, ohne das dahinterliegende seelische System zu verstehen, riskiert, dass die Themen sich an anderer Stelle zeigen – in neuen Symptomen, neuen Abhängigkeiten oder neuen Krisen.

Was viele unterschätzen, sind die komplexen physiologischen Veränderungen, die durch diesen Eingriff ausgelöst werden. Denn bei der Schlauchmagen-Operation wird nicht nur der Magen verkleinert – der gesamte Verdauungs- und Hormonhaushalt wird neu programmiert. Etwa 75–85 % des Magens, inklusive des Fundus, werden entfernt. Dort befinden sich die meisten ghrelinproduzierenden Zellen – was erklärt, warum viele Patient:innen nach der OP kaum noch Hungergefühl verspüren. Dieser Effekt ist jedoch meist nicht dauerhaft. Die Ghrelinproduktion kann sich nach einigen Monaten wieder normalisieren, was langfristig zu einem Rückfall in alte Muster führen kann – insbesondere, wenn keine tiefergehende Verhaltensänderung erfolgt ist.

Gleichzeitig verändert sich die Hormonkommunikation im Darm. Durch die veränderte Nahrungsverarbeitung steigt die Ausschüttung von GLP-1, PYY und anderen intestinalen Peptiden, die nicht nur das Sättigungsgefühl fördern, sondern auch blutzuckerregulierend und entzündungshemmend wirken. Diese Veränderungen können so ausgeprägt sein, dass sich bei Menschen mit Typ-2-Diabetes bereits kurz nach der OP eine Verbesserung der Glukosewerte zeigt – oft noch bevor Gewicht verloren wurde.

Doch dieser hormonelle Reset hat auch seine Schattenseiten. Viele Patient:innen entwickeln chronische Mangelerscheinungen, insbesondere bei Vitamin B12, Eisen, Folsäure, Zink, Magnesium und Vitamin D. Diese Defizite entstehen trotz unverändertem Dünndarm, weil die Verdauungssäfte, Enzyme und Magensäure nicht mehr in vollem Umfang verfügbar sind. Es braucht oft lebenslange Supplementierung – nicht nur zur Vermeidung von Müdigkeit, Haarausfall oder Hautproblemen, sondern auch zur Vorbeugung neurologischer Symptome.

Ein weiteres Risiko ist der Verlust von Muskelmasse. Ohne gezieltes Krafttraining und ausreichende Eiweißzufuhr verliert der Körper nicht nur Fett, sondern auch funktionelle Muskulatur. Studien zeigen, dass bis zu 25 % des Gewichtsverlusts nach bariatrischen Operationen auf Muskulatur entfällt. Das senkt den Grundumsatz und erhöht das Risiko eines metabolischen Plateaus oder späterer Gewichtszunahme.

Auch das Mikrobiom, die bakterielle Besiedlung des Darms, verändert sich nach der OP deutlich. Studien (z. B. Liou et al., 2013, Science Translational Medicine) belegen, dass sich die Zusammensetzung der Darmflora nach bariatrischen Eingriffen massiv verschiebt – mit positiven Effekten, aber auch Instabilität. Viele berichten nach der OP von Blähungen, Verdauungsproblemen, Stimmungsschwankungen oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Die enge Verbindung zwischen Darmflora und Gehirn, bekannt als Darm-Hirn-Achse, erklärt, warum solche Symptome auch emotional spürbar werden.

Trotz dieser Risiken kann die OP für manche ein notwendiger und lebensrettender Eingriff sein. Aber sie ersetzt nicht die tieferliegende Arbeit an der eigenen Lebensgeschichte, dem Essverhalten und der Beziehung zum eigenen Körper.

Ein Beispiel aus meiner therapeutischen Beobachtungspraxis (anonymisiert):
Tyara, 41, hatte ihr ganzes Leben mit Übergewicht zu kämpfen. Schon in der Kindheit wurde sie von ihren Eltern für ihren „großen Appetit“ beschämt, obwohl sie oft einfach aus emotionalem Trost aß – nach langen Schultagen, wenn sie sich ausgeschlossen fühlte. Als Erwachsene versuchte sie alles: Diäten, Nahrungsergänzung, Sportprogramme. Sie nahm 30 Kilo ab – und wieder zu. Als sie 135 kg erreichte und ihre Knie zu schmerzen begannen, entschied sie sich für eine Schlauchmagen-OP. Die ersten Monate verliefen euphorisch. Sie nahm ab, bekam Komplimente, konnte Kleider tragen, die sie nie besessen hatte. Doch dann kamen Panikattacken. Einsamkeit. Das Gefühl, sich selbst nicht mehr zu erkennen. Die alten Bewältigungsstrategien – Essen, Rückzug – funktionierten nicht mehr. Ihr Körper war neu, aber ihr inneres Kind war noch immer allein. Erst in der Kombination aus Körpertherapie, viszeraler Arbeit und einer sanften, traumasensiblen Begleitung fand Tyara allmählich zurück zu einem Körper, den sie nicht mehr „kontrollieren“ wollte, sondern bewohnen durfte.

Diese Prozesse zeigen, dass der Körper mehr ist als eine Hülle – er ist Träger von Erinnerung, Schmerz, Identität. Und er muss bei jeder Transformation mitgenommen werden.

In meiner Arbeit mit übergewichtigen oder operierten Patient:innen beobachte ich, dass besonders sanfte manuelle Therapien, die das Bauchzentrum mit einbeziehen, einen Zugang schaffen zu einem inneren Erleben, das nicht über den Verstand steuerbar ist. Der Bauch – als Zentrum der Verdauung, aber auch der Intuition und emotionalen „Verarbeitung“ – spielt eine Schlüsselrolle. Hier setzt meine Methode die Kader Abdominal Therapy (KAT) an, die über viszerale Entlastung, Lymphaktivierung und energetisches Re-Balancing auch die Psyche miteinbeziehen, ohne sie zu pathologisieren. Sie wirken nicht im Sinne eines Ersatzes zur OP, sondern als ergänzende Methode, um das verlorene Gefühl für sich selbst schrittweise zurückzuholen – besonders dort, wo der Körper über Jahre zum Gegner geworden ist.

Auch neurowissenschaftliche Erkenntnisse, etwa aus der Polyvagal-Theorie (Stephen Porges), bestätigen, dass Heilung erst dann langfristig möglich ist, wenn der Körper ein Gefühl von Sicherheit erlebt. Nach einem so tiefgreifenden Eingriff wie der Schlauchmagen-OP sind viele Patient:innen über längere Zeit in einem Zustand der Übererregung oder Abspaltung. Ganzheitliche Begleitung, somatische Therapie, Atemarbeit oder viszerale Interventionen mit Achtsamkeitsfokus helfen, diesen Zustand allmählich zu lösen – von innen nach außen.


Fazit

Die Entscheidung für oder gegen eine Schlauchmagen-OP ist persönlich – und darf weder glorifiziert noch verteufelt werden.
Aber sie sollte nicht aus Verzweiflung, sondern aus Klarheit getroffen werden.
Nicht, um sich selbst loszuwerden – sondern um wieder bei sich selbst anzukommen.

Denn der Körper ist kein Feind. Er ist der Träger von allem, was wir nicht mehr fühlen wollen. Wenn wir beginnen, ihm zuzuhören, muss er uns nichts mehr zurufen.


Studienquellen:

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